Gesellschaft Deutscher Chemiker

Cremige Kreationen

Konsistenz ist Kunst

Nachrichten aus der Chemie, September 2024, S. 34-36, DOI, PDF. Login für Volltextzugriff.

Von Wiley-VCH zur Verfügung gestellt

Sich vegan zu ernähren resultiert oft aus dem Wunsch, Tiere zu schützen und der Umwelt weniger schaden zu wollen als mit tierischen Lebensmitteln. Dabei ist es nicht nötig, auf gewohnte Geschmäcker und Mundgefühle zu verzichten.

Versetzt man Kuhmilch mit bestimmten Bakterien, vernetzen sich die enthaltenen Proteine. Das entstehende Gel kennen wir als Joghurt.

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Bei veganen Joghurtalternativen, hier aus Soja, kommt es auf die Textur an. Foto: mayura_ben / Adobe Stock

Den mögen auch Veganer. Das sagen zumindest die Verkaufszahlen der letzten Jahre: Den weltweiten Markt für veganen Joghurt im Jahr 2023 schätzte ein Marktforschungsbericht von Fortune Business Insights auf 3,10 Milliarden US-Dollar (USD).1) Ihm zufolge wird der Markt von 3,70 Mrd. USD im Jahr 2024 auf 16,76 Mrd. USD im Jahr 2032 steigen. Allerdings schmeichelt die vegane Joghurtalternative dem Gaumen meist nicht so sehr wie ihr tierisches Vorbild: zu wässrig, sandig, griesig – nicht so glatt wie Milchjoghurt.

Wie sich das ändern lässt, erforscht die Bioingenieurin Ulrike van der Schaaf am Karlsruher Institut für Technologie.

Ein Gel entsteht

Pflanzenbasierte Proteine sehen anders aus als tierische. Daher verknüpfen sie sich auch anders, und die entstehenden Gele entsprechen weder in ihrer Stabilität noch in ihrem Mundgefühl dem, was wir von herkömmlichem Joghurt kennen. Und das gilt, egal, ob Hafer, Erbse, Soja oder Mandel als Basis dient. Wie lässt sich das ändern?

Van der Schaaf zufolge würde man zunächst versuchen, das Mundgefühl und das Fließverhalten über die Proteine selbst einzustellen, die enthalten sind. Also: Konzentration variieren, die Art des Proteins und die Temperatur, auf die das Ganze erhitzt wird. Jeder einzelne Herstellungsschritt (Kasten) beeinflusst, welche Struktur sich bildet. Wenn dieses Vorgehen nicht zum Ziel führt, ließe sich auf Zusatzstoffe zurückgreifen.

Bei zu wässrigem Joghurt fällt die Wahl auf Verdickungsmittel, auch Geliermittel genannt: Sie machen Pflanzenproteingele stabiler, beeinflussen deren Fließverhalten und gleichen das Mundgefühl dem Vorbild an. In ihrem Projekt untersucht van der Schaaf, wie sich Soja- und Erbsenproteingele mit Mikrogelpartikeln texturieren lassen. Die jeweiligen Mikrogelpartikel beeinflussen das Verhalten der Proteingele unterschiedlich.

Da das Geliermittel Wasser bindet und es als bereits gequollene Struktur eingesetzt wird, sind im Produkt Konzentrationen von weniger als 0,02 Prozent erforderlich. Aber auch mehr wäre kein Problem, denn die meisten Verdickungsmittel wirken als Ballaststoffe. Und derzeit, sagt die Bioingenieurin, werde verstärkt daran geforscht, Nahrungsmitteln Ballaststoffe zuzusetzen. Denn Experten zufolge essen wir zu wenig davon.

Die Auswahl an Verdickern ist groß. Das wohl bekannteste kommt in Konfitüren vor, das Pektin. Es stammt aus Äpfeln, Zitrusfrüchten oder Zuckerrüben. Daneben gibt es beispielsweise Johannisbrotkernmehl, Guarkernmehl, Carrageen oder Alginat – also Polysaccharidstrukturen, die im Magen und Dünndarm nicht aufgeschlossen werden können. Die Stoffe werden in den Dickdarm transportiert und dort von den Mikroorganismen verstoffwechselt. Viele dienen den Darmbakterien als Futter und gelten als gesundheitsfördernd. Ein Bonus, findet van der Schaaf: „Man gibt sie als Zusatzstoff in das Produkt, und dort erfüllen sie eine technische Wirkung. Aber da sie Ballaststoffe sind, sind sie auch gut für den Körper.“

Wechselwirkung verstehen

Trotz seiner positiven Eigenschaften führt Pektin – wie jede zusätzliche Komponente im Proteingel – zu Wechselwirkungen. Neben der Proteinbasis enthält die Masse Salze, Zucker (viel davon in Fruchtjoghurts) und andere Stoffe. Auch die Konzentrationen der einzelnen Bestandteile und die Verarbeitungstemperatur beeinflussen, welche Eigenschaften das Produkt hat – also auch, wie es sich im Mund anfühlt. Und dabei ist längst nicht alles geklärt, erläutert die Wissenschaftlerin: „Gerade in der Wechselwirkung zwischen den einzelnen Stoffen steckt bisher noch viel Empirie.“

Das möchte sie ändern. Um nicht unendlich viele Versuche durchführen zu müssen, lässt sich mit statistischer Versuchsplanung arbeiten. „Wir wählen also einzelne Parameter und vor allem den Wertebereich, in dem wir das Ganze betrachten.“

Ist eine Korrelation gefunden, folgen weitere Versuche, um zu ermitteln, ob der vermutete Zusammenhang stimmt. Wenn ja, wird versucht, die Erkenntnisse auf andere Proteinquellen zu übertragen: Bewirkt Erhitzen auf beispielsweise 80 °C nur beim Erbsenprotein ein dickes Gel oder auch beim Sojaprotein?

Cremigkeit quantifizieren

Höhere Viskosität bedeutet beispielsweise, dass sich ein Joghurt langsamer als beispielsweise Wasser aus einem Becher gießen lässt, oder dass er stabil auf einem Löffel sitzt.

Weil ein Mensch das schlecht objektiv bewerten kann, gibt es Messgeräte, mit denen sich Viskosität quantifizieren lässt:

Ein Rheometer etwa hat zwei Platten, getrennt durch einen Spalt, dessen Breite sich einstellen lässt. Bei van der Schaaf ist es ein Millimeter. Dahinein kommt der Joghurt, und die obere Platte dreht sich mit einer Deformationsgeschwindigkeit, die van der Schaaf einstellt. Das Rheometer misst dabei das Drehmoment. Je nach Widerstandskraft ergeben sich unterschiedliche Werte für die Viskosität.

Eine andere Möglichkeit ist, die Schmierfähigkeit des veganen Joghurts zu untersuchen. „Das soll das Gefühl simulieren, dass entsteht, wenn die Zunge am Gaumen reibt und sich dazwischen der Joghurt befindet“, erklärt van der Schaaf. Diese Messung, die Tribologie, ist eigentlich aus anderen Industriezweigen bekannt: zum Beispiel aus der Autoindustrie, die damit die Gleitfähigkeit von Schmieröl misst. Wichtig ist diese Reibung auch bei der Beschichtung von Oberflächen, etwa der Rückseite von Handys: Wie fühlt es sich an, wenn ich mit dem Finger über diese Oberfläche fahre?

Van der Schaaf verwendet für die Tribologiemessungen eine Kugel, die für den Gaumen steht. Diese reibt auf drei Pins, die die Zunge darstellen. Dazwischen ist in einem Näpfchen die Probe; sie schmiert die Oberflächen und ändert damit, wie die Oberflächen von Kugel und Pins aufeinanderreiben.

Auch hier wird eine Kraft aufgebracht und der entsprechende gegensätzliche Messwert erfasst. Verglichen werden letztlich die Werte mehrerer Proben, die unterschiedlich erhitzt worden sind. „Im Idealfall sieht man Unterschiede im Schmierverhalten“, erläutert van der Schaaf. „Bisher ist es aber noch schwierig, die gemessenen Werte mit dem tatsächlichen Empfinden im Mund zu korrelieren.“ Denn die Oberflächen im Messgerät entsprechen nicht exakt den Oberflächen im Mund – eine Stahlkugel ist eben kein Gaumen, und Silikonpins sind keine Zunge. „Es gibt die Möglichkeit, Schweinezungen in das Messgerät einzuspannen oder jedenfalls Teile davon, um das zu simulieren.“

Das macht van der Schaaf nicht. Muss sie auch nicht, denn es gibt eine weitere Möglichkeit: Ein Sensorikpanel darf testen, also Menschen, die darauf geschult sind, Proben zu verkosten und Unterschiede sensorischer Art nicht nur festzustellen, sondern auch korrekt zu benennen. „Da gibt‘s dann beschreibende Begriffe, zum Beispiel ist der Joghurt sandig oder glatt, wirkt er adstringierend im Mund. Das geschulte Panel weiß, worauf es achten muss und was diese Begriffe genau beschreiben.“

Ein typischer Testlauf würde dann so aussehen: Zunächst testet das Sensorikpanel die Proben, dann wird mit dem Tribometer gemessen. Anschließend geht es darum, die Messwerte mit der sensorischen Beschreibung zu korrelieren. Das Ziel für später: auf sensorische Panels verzichten oder zumindest für Routineuntersuchungen und Qualitätskontrollen auf Messwerte zurückgreifen können, „weil‘s das einfacher macht und leichter quantifizierbar, weil man den qualitativen Aspekt des sensorischen Eindrucks vermeiden kann.“ Das wäre vor allem in der Qualitätssicherung interessant. Denn so ließen sich regelmäßig ohne großen Aufwand Produkte daraufhin überprüfen, ob sie in Ordnung sind und der gewünschten Qualität entsprechen.

Um Nachrichten-Redakteurin Eliza Leusmann alle Messungen zu zeigen, hat Ulrike van der Schaaf sich an gleich zwei Tagen Zeit genommen.

Einzelne Schritte: So entsteht ein veganer Joghurt

Im Labor des Karlsruher Instituts für Technologie wird in Wasser gelöstes Pektin mit einer Calciumionenlösung geliert und gleichzeitig in einer Kolloidmühle zermahlen. Pulverförmiges Soja- oder Erbsenproteinisolat wird ebenfalls in Wasser gelöst. Soll der vegane Joghurt Öl oder Fett enthalten, wird es der Proteinlösung zugefügt und das Ganze homogenisiert. Dabei entstehen Tröpfchen, die auch für Milch typisch sind und die weißliche Farbe erzeugen. Diese Emulsion aus Öl in Proteinlösung wird erhitzt. Dadurch aggregieren die Proteine und beginnen, ein Gel zu bilden.

Der warmen Emulsion wird Zucker zugesetzt, der als Nahrung für die Mikroorganismen dient – diese werden zugefügt, wenn die Emulsion maximal 43 °C warm ist. Dann wird der Mix inkubiert und fermentiert, wobei die Temperatur von den Mikroorganismen abhängt.

Ist diese Lösung wieder abgekühlt, lassen sich andere Stoffe zufügen, beispielsweise Geschmacksstoffe. Dieser Schritt ist optional.

Nach 12 bis 16 Stunden ist die Joghurtalternative bereit zum Vermessen oder Verkosten – oder für beides.

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