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Jedes Böhnchen gibt kein Tönchen

Nachrichten aus der Chemie, September 2024, S. 8-11, DOI, PDF. Login für Volltextzugriff.

Von Wiley-VCH zur Verfügung gestellt

In vielen Hülsenfrüchte stecken Oligosaccharide, die für den Menschen unverdaulich sind und somit Blähungen verursachen. Rezeptfreie Tabletten sollen helfen: Sie enthalten ein Enzym, das die Zucker spaltet. Wie sie wirken, lässt sich im Schulunterricht mit Dünnschichtchromatographie untersuchen.

Erbsen, Bohnen und Linsen enthalten essenzielle Aminosäuren. Sie sind somit eine gute und preisgünstige Proteinquelle, insbesondere für Menschen, die sich vegetarisch oder vegan ernähren – das sind mittlerweile etwa zwölf Prozent der deutschen Bevölkerung.1) Zwar scheinen Hülsenfrüchte auf den ersten Blick nicht das spannendste und relevanteste Thema für junge Erwachsene zu sein; allerdings gehören pflanzliche Fleischersatzprodukte zu den Trend-Foods, die für sie am relevantesten sind.2) Soja und Co. und deren Bekömmlichkeit können also doch ein Thema sein, für das sich Schüler:innen der Oberstufe interessieren.

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Hülsenfrüchte. Bild: Кристина Корнеева / Adobe Stock

α-Galactosidase als helfendes Enzym

In Drogerien und Apotheken gibt es rezeptfrei Tabletten zu kaufen, die den Blähbauch vermeiden sollen, der oft nach dem Verzehr von Hülsenfrüchten auftritt. Die Tabletten enthalten das Enzym α-Galactosidase. Es wird beispielsweise gentechnisch aus E.-coli-Bakterien oder biotechnisch aus nichtpathogenen Schimmelpilzen gewonnen.3,4) Natürlicherweise fehlt es im menschlichen Körper. Es katalysiert die Hydrolyse α-glykosidisch gebundener nichtreduzierender Galactose-Reste (Abbildung 1, schwarze Teile) der Oligosaccharide Raffinose oder Stachyose.3,5)

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Oben: Raffinose (schwarz: Galactose-Rest, grün: Saccharose-Anteil); unten: Raffinose-Oligosaccharid-Familie (schwarz: Galactose-Rest, grün: Saccharose-Anteil).

Die blähenden Oligosaccharide

Erbsen, Bohnen und Linsen speichern Energie anders als andere Pflanzen: Während beispielsweise Kartoffeln oder Weizen Stärke bilden, speichern Hülsenfrüchte Kohlenhydrate der Raffinose-Oligosaccharid-Familie (RFO).4)

Raffinose ist der einfachste Vertreter dieser Familie (Abbildung 1). Sie ist ein Dreifachzucker, ein Trisaccharid, und setzt sich aus drei der wichtigsten in der Natur vorkommenden Hexosen zusammen: d-Glucose, d-Fructose und d-Galactose.4)

Die weiteren RFO-Vertreter sind zunehmend galactolysierte Saccharosederivate. Alle RFO-Vertreter basieren auf Raffinose und haben mindestens einen Galactose-Rest, den das Enzym α-Galactosidase abspalten kann.

Außer in Hülsenfrüchten kommen RFOs auch in Kohlsorten wie Grünkohl vor.6) Sie werden während der menschlichen Verdauung im Dünndarm nicht oder kaum gespalten und resorbiert. Nach dem Essen von Hülsenfrüchten gelangen diese Oligosaccharide also in den Dickdarm, wo sie von anaeroben Darmbakterien unseres Mikrobioms vergoren werden.7) Als Nebenprodukte entstehen dabei Gase wie Methan oder Kohlenstoffdioxid, die Blähungen hervorrufen können.

In der Schule: Raffinose

Relevant für den experimentellen Schulunterricht ist vor allem Raffinose (α-d-Galactopyranosyl-(1,6)-α-d-Glucopyranosyl-(1–2)-β-d-fructofuranosid, C18H32O16). Denn sie ist nicht nur der einfachste RFO-Vertreter, sondern auch in der Anschaffung als Reinstoff am günstigsten.

Raffinose wurde erstmals im Jahr 1876 aus Zuckerrübenmelasse gewonnen.3) Im 19. Jahrhundert hatten mehrere Forscher den Zucker extrahiert und unterschiedlich benannt – erst Tollens zeigte im Jahr 1885, dass Raffinose, Meli(tri)ose8) und Gossypose9) ein und derselbe Stoff sind.9)

Raffinose in Hülsenfrüchten nachweisen

Um Raffinose in Erbsen nachzuweisen, ist zunächst ein Erbsenextrakt herzustellen. Zur Extraktion ist 50%iger Ethanol ideal.10,11) Es werden 15 g Tiefkühlerbsen in einem Mörser mit 20 mL Ethanol (ω = 50 %) versetzt und zerrieben. Das Gemisch wird 30 Minuten stehen gelassen und alle 10 Minuten mit einem Glasstab umgerührt. Anschließend wird das Gemisch filtriert und der Erbsenextrakt aufgefangen.

Dann wird eine Kieselgelplatte (5 cm × 10 cm) für die Dünnschichtchromatographie vorbereitet. Als Vergleichssubstanzen dienen Galactose- (ω = 3 %), Saccharose- (ω = 1 %) und Raffinose-Lösung (ω = 1 %), die mit Kapillarröhrchen auf die Platte aufgetragen werden. Zusätzlich wird der Erbsenextrakt auf die Platte aufgetragen und gewartet, bis er getrocknet ist. Als Laufmittel dient ein Acetonitril-Wasser-Gemisch (85:15) – mit Acetonitril umzugehen, ist Schüler:innen ab der 5. Klasse erlaubt.

Als Chromatographiekammer im Unterricht eignet sich ein schmales, hohes Becherglas mit einer Petrischale als Deckel. Die Laufzeit der Chromatographie beträgt zirka acht Minuten.

Anschließend wird die getrocknete Platte mit ethanolischer Schwefelsäure-Lösung (ω = 5 %) besprüht, und zwar unter dem Laborabzug. Diese Lösung sollte die Lehrkraft herstellen und handhaben, da bei der Reaktion von Ethanol und Schwefelsäure geringe Mengen des Gefahrstoffs Diethylsulfat entstehen können. Er ist krebserzeugend und erbgutverändernd (Kat. 1B).12)

Anschließend muss die Platte für 10 bis 15 Minuten im zirka 100 °C heißen Trockenschrank trocknen. Dann kann sie ausgewertet werden (Abbildung 2 S.9). Ist kein Trockenschrank vorhanden, wird die Platte mit einem Haartrockner erwärmt.

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Auf der Dünnschichtchromatographie(DC)-Platte von links: Ergebnis von Galactose, Saccharose, Raffinose und Erbsenextrakt.

Indem die Schüler:innen die Laufstrecke des Erbsenextrakts mit der von Galactose, Saccharose und Raffinose vergleichen, können sie nun schlussfolgern, dass in dem Erbsenextrakt alle drei Zucker enthalten sind sowie eine weitere Substanz, die nicht mit den Vergleichsproben übereinstimmt.

Lösungen ansetzen, Chromatographie vorbereiten

Das Enzym α-Galactosidase spaltet das Oligosaccharid Raffinose in das Monosaccharid Galactose und das Disaccharid Saccharose. Diese Wirkung lässt sich ebenfalls mit Dünnschichtchromatographie verdeutlichen.

Im Experiment werden Verdauungs-Held-Tabletten verwendet. Es gibt weitere Produkte wie Oligase 600, die ebenfalls α-Galactosidase enthalten.

Eine Enzymtablette wird gemörsert und mit 10 mL Leitungswasser versetzt. In je ein Reagenzglas werden gesondert 1 mL Galactose- (ω = 3 %), 1 mL Saccharose- (ω = 1 %) und 1 mL Raffinose-Lösung (ω = 3 %) gegeben. Alle drei Reagenzgläser werden anschließend mit zehn Tropfen der Enzymlösung versetzt und für zehn Minuten in ein Wasserbad gestellt. Dieses sollte 38 bis 40 °C haben, um die Körpertemperatur des Menschen zu simulieren und so dem Temperaturoptimum des Enzyms nahezukommen.

Anschließend wird eine Kieselgelplatte vorbereitet. Auf diese werden die drei mit Enzym versetzten Proben und als Vergleichssubstanzen die Zuckerlösungen gleicher Konzentration per Kapillare aufgetragen. Die Chromatographie samt anschließender Behandlung läuft wie zuvor beschrieben (Abbildung 3).

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Ergebnis der Dünnschichtchromatographie von Galactose, Saccharose und Raffinose jeweils mit und ohne Enzymzugabe.

Zucker spalten

Die aufgetragenen Proben der Galactose und der mit Enzym versetzten Galactose sehen auf der Platte gleich aus. Das Enzym α-Galactosidase wirkt also erwartungskonform nicht auf Galactose. Überraschenderweise verhält es sich bei der Saccharose anders: Wird Saccharose mit den Enzymtabletten versetzt, wird sie gespalten. Dies liegt nicht an der α-Galactosidase – dieses Enzym wirkt sehr spezifisch. Allerdings enthalten die Tabletten durch den Herstellprozess weitere Glykosidasen, etwa Invertase. In vielen Mikroorganismen, aus denen die Enzyme gewonnen werden, kommen gleichermaßen α-Galactosidase und Invertase vor, die Saccharose spaltet.3)

Verdauungshilfsmittel wie die verwendeten Tabletten werden meist aus Fermentationsüberständen gewonnen, ohne dass die einzelnen Glykosidasen gereinigt werden.3,13) Dennoch ist auf den Enzymtabletten oft nur α-Galactosidase als Inhaltsstoff angegeben, obwohl offensichtlich weitere Enzyme enthalten sind.

Dies bietet Anknüpfungspunkte, um die Bewertungskompetenz der Schüler:innen zu fördern und die Deklaration von Inhaltsstoffen zu diskutieren. Zudem lässt sich der Herstellprozess betrachten und bewerten. Hier gibt es zwei Wege: Bei der biotechnischen Herstellung werden α-Galactosidase und Invertase meist gemeinsam gewonnen; bei der gentechnischen Variante wird durch DNA-Neukombination in E.-coli-Bakterien die α-Galactosidase einzeln isoliert.3)

Enzymwirkung

Das Versuchsergebnis für Raffinose (Abbildung 3) zeigt wie erwartet, dass das Enzym die Raffinose in Galactose spaltet und in die gleichen Spaltungsprodukte, die auch bei der Saccharose zu beobachten sind. Zwar ist nach Einwirken des Enzyms noch relativ viel ungespaltene Raffinose vorhanden, dies lässt sich jedoch durch eine längere Einwirkzeit ändern. Die relativ kurze Einwirkzeit von zehn Minuten wurde im Hinblick auf die begrenzte Unterrichtszeit gewählt.

Dass die Tabletten weitere, nicht deklarierte Enzyme enthalten, birgt das Risiko, dass Schüler:innen die Substratspezifität des Enzyms in Frage stellen oder verwirrt sind. Soll das Vorhandensein weiterer Enzyme in den Tabletten nicht weiter thematisiert werden, ist eine alternative Versuchsdurchführung sinnvoll: Galactose-, Saccharose- und Raffinoselösungen könnten als Vergleichslösungen aufgetragen werden; zusätzlich wird nur die Raffinoselösung mit dem Enzym versetzt. Eine entsprechende DC-Platte ist in Abbildung 4 zu sehen. Die oberste Bande der aufgespaltenen Raffinose stimmt hierbei weder exakt mit der Saccharose- noch mit der Galactose-Vergleichsprobe überein, was dann im Sinne der didaktischen Reduktion vernachlässigt würde.

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Ergebnis der Dünnschichtchromatographie von Galactose, Raffinose, Saccharose und mit Enzym versetzter Raffinose.

Ausblick

Außer mit den vorgestellten Dünnschicht-Chromatografie-Experimenten lässt sich mit Fearon‘s Reagenz nachweisen, dass α-Galactosidase Galactose aus Raffinose abspaltet.14,15) Monosaccharide wie Galactose färben sich beim Nachweis mit Fearon‘s Reagenz gelb, während 1,4-verknüpfte Disaccharide wie Lactose und Maltose sich rot färben und andere Di- und Oligosaccharide wie Raffinose oder Saccharose eine farblose Lösung liefern.14)

Die Autorin dankt Klaus Martin Ruppersberg für Diskussion und kritische Durchsicht des Artikels sowie Lothar Elling (RWTH Aachen) und Anne Hellwig (TU Dresden) für die beratende Unterstützung.

Die Autorin

Hanne Rautenstrauch ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Institut für Chemie und ihre Didaktik der Europa-Universität Flensburg. Sie hat einen Bachelorabschluss in Vermittlungswissenschaften und einen Master of Education in Chemie und Biologie. Im Jahr 2017 hat sie interdisziplinär in Chemie und Germanistik über die Erhebung des (Fach-)Sprachstands von Lehramtsstudierenden des Fachs Chemie promoviert.https://media.graphassets.com/IHXo0yG5Qem35XQ6t14T

AUF EINEN BLICK

Enzymhaltige Tabletten können Verdauungsprobleme, etwa Blähungen, nach dem Genuss von Hülsenfrüchten lindern.

Das Enzym α-Galactosidase spaltet Galactose von unverdaulichen Oligosacchariden, sodass verdauliche Saccharose übrig bleibt. Dieser Vorgang wird im Reagenzglas nachgestellt und mit Dünnschicht-Chromatographie untersucht.

Schüler:innen können so die Wirkweise von Enzymen beim Verdauungsvorgang erarbeiten und erhalten einen Einblick in die Lebensmittelchemie.

  • 1 forsa (2023). Pflanzenbetonte Ernährung. Ergebnisse einer repräsentativen Bevölkerungsbefragung. Berlin. t1p.de/f67h1
  • 2 Verbraucherzentrale NRW (2017). Food-Trends bei jungen Erwachsenen. Studie im Auftrag des Projektes MehrWert NRW, Ergebnisbericht, August 2017. t1p.de/eaw8i
  • 3 R. Mattes, K. Beaucamp, Chem. unserer Zeit 1983, doi: 10.1002/ciuz.19830170204
  • 4 M. Winkler, K. Steinke, R. Oehme et al., Chem. unserer Zeit 2014, doi: 10.1002/ciuz.201400672
  • 5 M. G. Peter, Raffinose, RD-18–00164 (2013) in RÖMPP [Online], Stuttgart, Georg Thieme Verlag, [Mai 2024] t1p.de/xoare
  • 6 L. Tetsch, Chem. unserer Zeit 2020, doi: 10.1002/ciuz.202000064
  • 7 H. Brüssow, Biol. Unserer Zeit 2020, doi: 10.1002/biuz.202010707
  • 8 C. Scheibler, Ber. Dtsch. Chem. Ges. 1886, 19, 2868
  • 9 B. Tollens, Ber. Dtsch. Chem. Ges. 1885, 18, 26
  • 10 J. Ekvall, R. Stegmark, M. Nyman, J. Food Conps. Anal. 2007, doi: 10.1016/j.jfca.2006.06.010
  • 11 P. Gulewicz, D. Ciesiolka, J. Frias et al., J. Agric. Food Chem. 2000, doi: 10.1021/jf000210v
  • 12 Kultusministerkonferenz 2023: RISU, t1p.de/7gb7
  • 13 L. Elling, Schriftliche Mitteilung 2024
  • 14 H. Rautenstrauch, K. Ruppersberg, S. Thomsen, Science in school 2024, 66. t1p.de/x0sjt
  • 15 K. Ruppersberg, H. Rautenstrauch, NiU Chemie 2023, 34(1), 49

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