Gesellschaft Deutscher Chemiker

Trendbericht

DNA‐Origami in der Biomedizin ‐ Trendbericht Biochemie 2024 (3/3)

Nachrichten aus der Chemie, Juli 2024, S. 62-64, DOI, PDF. Login für Volltextzugriff.

Von Wiley-VCH zur Verfügung gestellt

Chemische Proteinsynthese: Neue Techniken in der Durchflusschemie und selektive Ligationsmethoden ermöglichen, komplexe und präzise modifizierte Peptide und Proteine für biologische Anwendungen herzustellen. Funktionelle Charakterisierung: Mit Methoden aus Mikrobiologie, chemischer Biologie und Biochemie untersuchen Forschende die molekulare Funktion bakterieller Enzyme des Mikrobioms und decken so deren Relevanz bei der Entwicklung von Darmerkrankungen auf. DNA-Origami: Biomoleküle auf mikro- und nanoskopischer Ebene zu untersuchen soll helfen, neue Therapeutika zu entwickeln, herzustellen und an ihren Zielort zu bringen. Besonders die Interaktionen von Proteinen miteinander und mit Ligandenmolekülen sind dabei wichtig.

DNA-Origami in der Biomedizin

Eine Immunantwort erfordert eine koordinierte Kommunikation zwischen verschiedenen Partnern, etwa Immunzellen. Diese Antwort vermitteln Zellrezeptoren. Binden Liganden an die Rezeptoren, lagern diese sich zusammen und initiieren Signaltransduktionswege. Diese aktivieren zelluläre Effektorfunktionen. Wie Rezeptoren, Corezeptoren und Adhäsionsmoleküle zusammengesetzt und räumlich angeordnet sind, reguliert Stärke und Qualität der Signaltransduktion.

Letztlich bestimmt die Regulation einer solchen Signaltransduktion, ob Krankheiten wie eine HIV-Infektion, Autoimmunerkrankungen oder Krebs überhaupt entstehen und, wenn ja, deren Ausmaß. Da schon nanoskalige Unterschiede in der Ligandenanordnung zu zellulären Reaktionen führen, ist es wichtig, diese Anordnungen zu kontrollieren. Nur so lassen sich deren Auswirkungen auf die Zielzelle untersuchen.

Sind die Rezeptoren und deren Cluster verstanden, lassen sich Wirkstoffe entwickeln, die entweder genau das tun, was eine gesunde Zelle täte, oder die gezielt kranke Zellen abtöten.

Es gibt bisher nur wenige Möglichkeiten zu beeinflussen, wie sich Moleküle im Nanobereich anordnen. Eine davon ist die DNA-Nanotechnik, genauer DNA-Origami, im Jahr 2006 von Paul Rothemund entwickelt.1) Dabei wird eine lange einzelsträngige DNA (Scaffold) mit hunderten, etwa 42 Nukleotid kurzen synthetisch hergestellten Oligonukleotiden (Staples) über die Franklin-Watson-Crick-komplementäre Basenpaarung zusammengebracht. So lassen sich 2- oder 3-D-nanoskalige Strukturen maßschneidern (Abbildung a).

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a) Faltung und Funktionalisierung von DNA-Origami-Strukturen. b) Gezielte Anordnung von Gastmolekülen auf oder in einem DNA-Origami. Gastmoleküle sind etwa Proteine, synthetische Liganden, kurze, einzel- oder doppelsträngige Ribonukleinsäure-Moleküle von 20 bis 25 Basenpaaren Länge (small interfering RNA, siRNA) oder das cytostatisch wirksame Antibiotikum Doxorubicin.15)

Position und Sequenz jedes Staples sind bekannt. Das erlaubt, die Stapel an bestimmten Positionen zu verlängern und so als Ankerpunkte zu nutzen, um Gastmoleküle zu binden. Dies ermöglicht nicht nur, die Strukturen stöchiometrisch zu beladen, sondern auch, Wirkstoffe kontrolliert freizusetzen (Abbildung b).

Ligand-Rezeptor-Interaktionen: Krebs

Aufgrund ihrer präzisen Modifikationsmöglichkeiten eignen sich DNA-Origami-Strukturen, um geometrie- und distanzabhängige Protein-Liganden-Interaktionen zu untersuchen. Denn es lassen sich gleichzeitig die genaue Zahl der Liganden, die Inter-Liganden-Distanz und die geometrische Anordnung kontrollieren, und zwar genauer als mit allen anderen Methoden.

Die ersten Berichte über kontrollierte Ligandenanordnung auf DNA-Origami handeln hauptsächlich von Krebs. Sie untersuchten beispielsweise, wie der Abstand von Ephrin-A5-Liganden die Aktivierung des EphA2-Rezeptors bei Brustkrebs beeinflusst:2)

Mit einem stäbchenförmigen DNA-Origami wurden die Ephrin-Liganden in Abständen von 40 oder 100 nm angeordnet. Zellen, die Liganden mit einer Distanz von 40 nm ausgesetzt waren, waren stärker rezeptorphosphoryliert sowie weniger invasiv als solche, die Liganden mit einem Abstand von 100 nm oder einem monomeren Liganden ausgesetzt waren.

Wie eine andere Studie zeigte, beeinflusst nicht nur der Inter-Liganden-Abstand die Signalwegaktivierung in Krebszellen, sondern auch die geometrische Anordnung der Liganden.3) Die Autoren banden Fas-Liganden, welche sich in der Natur auf den Oberflächen cytotoxischer T-Zellen befinden, an ein DNA-Origami. Wie sich zeigte, aktivieren die Liganden die Signalwege nur dann effizient, wenn sie in einer hexagonalen Anordnung präsentiert werden, in der sie etwa 10 nm voneinander entfernt sind.

Nanoskalige Änderungen in der Liganden-Präsentation beeinflussen also die Krebsentwicklung – eine wichtige Erkenntnis, um Therapeutika zu entwickeln.

B- und T-Zellen

Nicht nur Krebs hängt davon ab, wie Liganden angeordnet sind. In immunologischen Prozessen gibt DNA-Origami Aufschluss darüber, wie sich Immunzellen aktivieren lassen. Einer Studie zufolge wirkt sich die räumliche Anordnung des HIV-1-Antigens EOD-GT8 auf die Aktivierung des B-Zell-Rezeptors aus.4) Indem sie die Calcium-Signalgebung als Indikator für die Reaktion der B-Zellen auslasen, stellten die Autoren fest: Das Calciumsignal nimmt zu, wenn das Antigen in einer Linie auf einem stäbchenförmigen Origami angeordnet wird. Bei einer Inter-Liganden-Distanz von zirka 28 nm wird ein Plateau erreicht – größere Abstände verringern die Rezeptoraktivierung. Dieser Trend bleibt bei der 3-D-Anordnung auf einem ikosaedrischen DNA-Origami erhalten (Abbildung b). Die Signalstärke steigt mit der Zahl der Antigene, bevor sie bei etwa fünf Antigenen pro Struktur ein Plateau erreicht. Es sind also sowohl die Valenz als auch die Distanz zwischen den Liganden entscheidend bei der B-Zell-Aktivierung.

Bei T-Zellen zeigte sich unter Nutzung eines DNA-Origamis etwas ähnliches: Die genaue nanoskalige Anordnung des PD-L1-Liganden – ein Suppressor der T-Zell-Signalgebung – ist wichtig für die Rezeptor-Inaktivierung und wirkt sich auf das Clustern von Rezeptoren aus.5) Demnach inaktivieren nur PD-L1-Abstände von zirka 200 nm T-Zell-Rezeptoren, kleinere Abstände nicht.

Ein weiterer Durchbruch gelang in einer Studie, die 105 Antikörper-Quadrupel mit DNA-Origami screente. Mit diesen Quadrupeln sollten T-Zellen aktiviert und die T-Zell-spezifische Lyse verschiedener Zielzelllinien ermöglicht werden.6) Mit DNA-Origami lassen sich schneller bi- und multispezifische Anitkörper herstellen, screenen und auf Effizienz testen als mit anderen Methoden wie De-novo-Proteindesign.

Makrophagen und dendritische Zellen

Neben B- und T-Zellen sind Makrophagen wichtig bei der Immunantwort, besonders bei der kontrollierten Phagozytose. Makrophagen lassen sich unter anderem durch CpG-Motive aktivieren, also durch nichtmethylierte, einzelsträngige DNA-Sequenzen, die ein Cytosin(C)–Phosphat(p)–Guanosin(G)-Dinukleotid enthalten. Damit der Toll-like-Rezeptor 9 (TLR9) in Makrophagen durch CpG-Motive mit unterschiedlichen Distanzen, angeordnet auf einem DNA-Origami, aktiviert wird, sind mindestens zwei CpG-Motive mit einem Abstand von zirka 7 nm nötig. Größere Abstände reduzieren die Rezeptoraktivierung. Sowohl die Zahl der CpG-Kopien als auch die räumliche Organisation tragen zum Ausmaß der TLR9-Signalgebung bei.7,8)

TLRs aktivieren durch CpG-Motive auch dendritische Zellen. In-vitro-Zellkulturstudien und In-vivo-Tumorbehandlungsmodellen zufolge fördert DNA-Origami, dekoriert mit CpG-Motiven im Abstand von 3,5 nm, einige Prozesse: die Aktivierung dendritischer Zellen, die Antigenkreuzpräsentation, die Aktivierung von CD8-T-Zellen (die infizierte oder kranke Zellen abtöten), die Th1-polarisierte CD4-Aktivierung (CD4-T-Helferzellen sind an der Immunantwort beteiligt und veranlassen beispielsweise die Bildung von Abwehrstoffen gegen Krankheitserreger oder Pathogene) und die Aktivierung natürlicher Killerzellen (die Krebs- oder andere veränderte Zellen erkennen und zerstören). Insgesamt aktiviert das Origami also drei wichtige Immunzellen (T-Zellen, T-Helferzellen, die dann auch B-Zellen aktivieren, und Killerzellen) und ruft so gezielt und höchst effizient eine Immunantwort hervor.

Somit eignet sich Origami als Impfstoff, der nicht nur synergistisch mit Anti-PD-L1 die Krebsimmuntherapie in Melanom- und Lymphommodellen verbessert, sondern auch ein langfristiges T-Zell-Gedächtnis induziert. Den Ergebnissen dieser Studie zufolge könnte DNA-Origami als Plattform dienen, um den Adjuvansabstand – also den lokalen physischen Abstand der Antigene – zu kontrollieren und Antigene in Impfstoffen bereitzustellen.

Auf dem Weg zu neuen Therapeutika

DNA-Origami eignet sich als Therapeutikum, indem es funktionale Makromoleküle liefert oder bestimmte Proteine ausschaltet.

Hierzu wird das Wirkstoffmolekül meist in ein hohles DNA-Origami eingebaut. Dieses öffnet sich, wenn ein Zielmolekül anwesend ist, und gibt seine Ladung frei (Abbildung b). Das nutzte eine Studie, um eine DNA-Origami-Struktur mit Gerinnungshemmer gegen Thrombose zu entwickeln. Indem die Autoren eine Hohlzylinderstruktur entwarfen, die sich nur bei erhöhter Thrombinkonzentration öffnet, ließ sich blutgerinnselauflösender Gewebe-Plasminogen-Aktivator (tPA) an den Wunschort bringen und dosieren.9)

DNA fängt sowohl reaktive Sauerstoffspezies als auch Stickoxide ab und wirkt so als Antioxidationsmittel. Das können auch DNA-Origamistrukturen, sodass sie ohne weitere Wirkstoffe als Therapeutikum Anwendung finden. Ein erster Durchbruch gelang in der Behandlung akuter Nierenschäden:10) Origamistrukturen reicherten sich, abhängig von ihrer Form, spezifisch in den Nieren an. Dort beseitigten sie reaktive Sauerstoffspezies, was nierenschützend wirkt. Diese formabhängige Akkumulierung von Nanostrukturen in bestimmten Organen ist bekannt. Nun kann die Form eines Origamis auch dazu dienen, größere Pathogene einzufangen – ikosaedrische Halbschalenstrukturen mit virusähnlichen Größen etwa binden Viren wie Hepatitis-B-Viren oder Adenoviren und machen sie so unschädlich.11)

Neben der Möglichkeit, virale Infektionen zu behandeln, lieferte diese Studie wirtschaftliche und effektive DNA-basierte Nanoplattformen, mit denen sich Arzneimittel, Gene oder immunstimulierende Komponenten verabreichen lassen.

Schutzstrategien

Eines der größten Probleme bei der Verwendung von DNA-Origami als Wirkstoffträger: Ungeschützte DNA-Origamistrukturen sind in biologischen Medien instabil. Die Haltbarkeit einer DNA-Origamistruktur in Präsenz von Nukleasen beträgt, je nach Struktur, einige Stunden. Dem lässt sich entgegenwirken, etwa durch Überziehen (Coaten) mit PEG-Oligolysin12) und anderen Polymeren, oder indem die Struktur in Calciumphosphat oder Silika13) verkapselt wird. Trotz dieser Modifizierungen binden die Origamistrukturen weiterhin Gastmoleküle.

Solche Methoden erhöhen nicht nur die Stabilität der Strukturen, sondern verringern oft auch die Immunantwort – dadurch wirken DNA-Origami bei systemischer Verabreichung durch Spritzen in den Blutkreislauf kaum cytotoxisch.14)

Drei Fragen an die Autorin: Amelie Heuer-Jungemann

Was würden Sie gerne entdecken oder herausfinden?

Ich würde wahnsinnig gerne eine Art Superpille entwickeln, mit der ein Organismus vorübergehend neue Eigenschaften bekommt – zum Beispiel, dass Pflanzen selbst Stickstoff fixieren können. Sowas ähnliches versuchen wir jetzt in meinem neuen ERC-Projekt NanoCat.

Was sind derzeit Ihre Hauptforschungsprojekte?

Zum einen der Einsatz von DNA-Origami in der Biomedizin, um Protein-Protein-Interaktionen zu verstehen, etwa in Bezug auf Krebs oder auch bei der Immunantwort nach Organtransplantationen. Und um DNA-Origami als Träger für Therapeutika zu etablieren. Zum anderen verwenden wir in Silika eingekapselte DNA-Origamistrukturen, um effiziente Enzymsysteme für die Biokatalyse zu entwickeln.

Was brauchen Sie heute im Beruf, was Sie im Studium nicht gelernt haben?

Alles um die Wissenschaft herum: Wie man eine Gruppe leitet, Forschungsanträge stellt, Mittelverwaltung und so weiter – das ist learning by doing.

Amelie Heuer-Jungemann, Jahrgang 1987, ist seit August 2020 Emmy-Noether-Gruppenleiterin am Max-Planck-Institut für Biochemie. Sie studierte Chemie mit Biochemie an der Heriot-Watt University, Edinburgh, promovierte an der Southampton University in Biophysik und war Postdoktorandin an der LMU München.https://media.graphassets.com/CnxMzGHZQ3ePmaSiCp5w

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